Guinea

Aufbruch nach Conakry

23.8.2022
|
15
Min.

Dieser Artikel erschien leicht angepasst im Magazin AUFATMEN vom SCM Verlag, Sommer 2022

Aufbruch nach Conakry

Von der Sehnsucht, mein Zufriedenheits-Loch in der Seele zu stopfen

Seit 2019 arbeiten Cornelia und Peter F. für SAM global in West-Afrika - genauer in Conakry, Guinea, die als eine der dreckigsten Hauptstädte der Welt gilt. Daheim in der Schweiz leben ihre beiden erwachsenen Kinder und ein Enkelkind. Für AUFATMEN schreibt Cornelia F. etwas über ihren Aufbruch aus der Schweizer Sicherheit- und über die geistliche Motivation, solch einen Aufbruch mit Mitte 50 noch einmal zu wagen ...

Der Gabentest von Christian A. Schwarz gab die Initialzündung unseres gemeinsamen Weges vor 32 Jahren. Damals, sehr jung und frisch verheiratet, lag die Welt zu unseren Füssen. Seit Beginn unserer Ehe war klar, dass wir zusammen Ganzheitliches tun möchten. Der Test zeigte, dass wir sozusagen die perfekte Gabenkonstellation haben, um eben genau dieses optimal Ganzheitliche zu tun. Wir beide sind in konservativen Gemeindeverbänden aufgewachsen und haben uns dann in einer jungen Kirche (New-Life Gemeinde) kennengelernt. Sowohl in unseren Herkunftsgemeinden wie auch in der neuen, jungen Gemeinde war das geistliche Anliegen zur Verbreitung der guten Botschaft gross.

Wir waren noch kein Jahr verheiratet, da füllten wir bereits den ersten Bewerbungsbogen aus für einen Einsatz in der islamischen Welt. Glücklicherweise war die Stimme des Geistes in dieser Situation nicht nur flüsternd, sondern so laut, dass wir bald merkten, dass dieser Weg wohl nicht gerade das Nonplusultra für uns beide war. Also zurück an den Start - etwas verlangsamt, besser hörend und achtsamer. Unser Weg führte uns dann erst einmal von der deutschen in die italienische Schweiz - und dies war bereits ein genügend grosser Kulturwechsel. Wir durften dann über 17 Jahre das Kurs und Ferienzentrum der Vereinigten Bibelgruppen (VBG) leiten, was uns menschlich und geistlich wachsen liess. Wir waren ganzheitlich ausgefüllt, befriedigt, oft auch überfordert mit all den Herausforderungen und zeitweise auch beinahe ausgebrannt.

Es war die Zeit zwischen 30 und 50, wo wir unsere Familie aufbauten und auch beruflich gefördert und gefordert wurden. Unsere 50. Geburtstage rückten näher und unsere Gedanken drehten sich immer mehr um unsere Zukunft: Sollen wir hier bleiben bis zum Pensionsalter? Oder wäre unser Arbeitgeber wohl froh, wenn wir uns aufmachen und neuen Menschen Platz machen würden? Gleichzeitig waren wir allerdings auch müde: körperlich nach über 15 Jahren knapp über dem Limit arbeitend; seelisch müde nach ungefähr 700 jungen Saisonmitarbeitenden und Tausenden von Gästen. Die Sehnsucht nach einem ruhigeren Lebensstil war da, und wir beide merkten unabhängig voneinander, dass der Spannungsbogen zu Ende ging.

Unser Sehnsuchts-Loch

In diese Zeit hinein kam die Anfrage zur Leitung eines kleineren, überschaubaren Hotels ganz in der Nähe. So kündigten wir unsere Traumstelle und wechselten in das gemächlichere und bequemere Leben. Wir konnten ein kleines Einfamilienhaus kaufen, hatten wieder geregelte Arbeitszeiten und zum ersten Mal in unserem Leben ein gutes Einkommen. Wie haben wir es genossen, endlich die Ferienreisen machen zu können, die wir uns schon so lange wünschten! Und wir konnten gar nicht genug bekommen von unserem eigenen Häuschen - keine Dienstwohnung mehr, es gehörte uns, und niemand konnte es uns wegnehmen!

Doch es vergingen gar nicht mal so viele Monate und in unserem Innern machte sich immer mal wieder so etwas wie eine Unzufriedenheit bemerkbar. Ich würde es eher als eine Art Loch bezeichnen. Ein Freund von uns beschrieb es mal so treffend - und hat mich betroffen gemacht damit:

,,Du kannst die schönsten Dinge erleben, den schönsten Sonnenuntergang in einem deiner Traumländer zusammen mit deiner Liebsten - und trotzdem bleibt irgendwie immer so ein Sehnsuchtsloch zurück."

Genau so fühlte ich mich oft in dieser neuen Lebensphase. Wir konnten ja nun auch wieder regelmässig in unsere Kirche gehen, aber auch da kam irgendwie nicht die Aufgabe an uns heran, die uns jetzt grad so gepackt hätte. Hier war alles geregelt, eingespielt und man wartete nicht auf uns. Hinzu kam, dass unsere Kinder erwachsen waren, zunehmend finanziell und emotional unabhängig von uns - sie brauchten uns nicht mehr! Sie hatten unser Nest verlassen und bauten ihr eigenes auf. So jedenfalls waren unsere ganz subjektiven Wahrnehmungen.

Im Nachhinein erkenne ich, dass der Eindruck eines ungefüllten Sehnsuchtslochs, die fehlende Aufgabe in der Kirche und die Nestflucht unserer beiden Kinder ein leises Flüstern des Heiligen Geistes waren:

,,Kommt, es gibt noch mehr, ich habe noch mehr im Sinn mit euch!"

Diese Stimme liess uns innerlich unruhig bleiben.

Hartnäckige Stimme Gottes

Am Anfang versuchte ich, diese Unruhe mit noch mehr schönen Unternehmungen und Reisen zu beruhigen, und wir übernahmen noch zusätzliche berufliche Aufgaben. Und überhaupt - hatten wir uns doch viele Jahre im Reich Gottes eingesetzt, das müsste doch reichen, oder?

Doch die Stimme Gottes erwies sich als sehr hartnäckig: Er sprach zu uns durch diese genannte Unruhe, durch unseren Mentor, durch Freunde und durch Vorträge und Erlebnisberichte bei den Willow Creek-Leitungskongressen, die wir nach wie vor regelmässig besuchten. Die Sehnsucht, noch einmal etwas wirklich Sinnvolles und Befriedigendes zu tun, wurde immer grösser. Ich wollte doch etwas bewirken!

In dieser Situation kam eine Anfrage, in Guinea, Westafrika, eine Stelle zu übernehmen. Das Stellenprofil war genau auf unsere Gaben, Begabungen und Erfahrungen zugeschnitten. Abenteuerlust machte sich breit: Eigentlich sprach nichts gegen eine Bewerbung - unsere Kinder brachen zwar nicht gerade in Begeisterungsstürme aus, aber sie liessen uns gewähren. Also reichten wir die Bewerbung ein. In den Unterlagen mussten wir unter anderem die Frage beantworten, ob wir einen Ruf Gottes hätten. Mmh, eine sehr schwierige Frage. Eigentlich konnte ich sie nicht ehrlich mit Ja beantworten. Was genau ist ein Ruf Gottes? Eine klare Stimme, die sagt, wir sollen nach Afrika gehen? Nein, die bekamen wir nicht! Aber im Gespräch mit unserem Mentor wurde uns nach und nach klar, dass die Stimme und der Ruf Gottes auch ein Flüstern sein kann und wir realisierten, dass auch die offenen Türen so ein Ruf sein können. Es sprach nichts gegen eine Ausreise - Gott legte uns keine Steine in den Weg. Und für uns war dies der Ruf oder die Berufung Gottes.

Ängste: die Sache mit dem Geld

Ehrlicherweise möchte ich hier aber auch nicht verheimlichen, dass dieser Weg nicht einfach war - insbesondere, als wir dann die Konsequenzen realisierten. Schon viele Monate vor der definitiven Ausreise kamen mir immer wieder die Tränen, wenn ich am Flughafen vorbeifuhr, an die Abflughalle dachte und die letzten gemeinsamen Geburtstage und Weihnachten feierte. Und es war ebenfalls ein schwieriger Moment, als ich realisierte, was am Ende des Monats auf unserem Konto landen würde! Auf einmal merkte ich, wie stark ich mich (insgeheim) abgesichert hatte mit einem genügend grossen Einkommen. Gerade in diese Richtung aber sprach Gott einmal ganz klar und deutlich zu mir: Nach einer durchweinten Nacht voller Existenzängste bekam ich durch eine tägliche Bibellese-Mail den Vers aus Hebräer 13,5:

,,Seid nicht geldgierig, begnügt euch mit dem, was ihr habt! Nie werde ich dich aufgeben, niemals dich im Stich lassen."

Besonders der erste Teil traf mich wie ein Schlag! Von diesem Moment an konnte ich Gott meine finanziellen Sorgen abgeben. Für mich war es ein Wunder ...

Ja – und nein ...

Nun sind wir mehr als drei Jahre in Guinea tätig - bis jetzt kamen jeden Monat die Spenden zusammen, die unseren Lohn decken - sogar noch viel mehr wird einbezahlt, und wir können einen grossen Teil unseres Projektes damit finanzieren. Und, wird man vermutlich fragen, wurde das Zufriedenheitsloch gefüllt? Im Rückblick kann ich bis jetzt feststellen: Ja, dieses Sehnsuchtsloch wurde ausfüllt. Ja, die Entscheidung, hierher zu ziehen, war richtig. Ja, wir merken, dass es Sinn macht, hier zu sein. Ja, wir haben noch einmal sehr viel gelernt - und lernen jeden Tag dazu. Oft kommen wir uns vor wie Auszubildende im ersten Lehrjahr ... Aber auch: Nein, das alles ist nicht einfach. Nein, wir sind nicht immer glücklich. Wir haben oft Heimweh nach Freunden und insbesondere nach unseren Kindern und unserem ersten Enkelkind. Die Abschiede nach Heimataufenthalten werden eher schwieriger als leichter. Auch die Konflikte vor Ort blieben nicht aus - die Zusammenarbeit im Team ist nicht einfach, die Vorstellungen von Leitung und Leiterschaft manchmal sehr verschieden.

Und auch das stimmt: Ich habe mich so wie ich bin nach Afrika mitgenommen. Meine Lebensmuster und mein Charakter kommen hier manchmal noch deutlicher und härter hervor - meine Ungeduld, meine Direktheit, mein manchmal mit dem Kopf durch die Wand-Wollen. Gerade diese Eigenschaften ecken in Afrika noch viel mehr an als daheim in der Schweiz.

Wirklich Tropfen auf dem Stein ...

Und der Heilige Geist hat nochmals einiges in meinem Leben verändert: Meine Angst, materiell zu kurz zu kommen, hat er weggenommen, ich hatte nie den Eindruck, dass wir Mangel leiden. Er lehrte mich, Geduld zu üben, barmherziger zu werden und dankbar für die kleinen Dinge zu sein. Und ich hoffe ganz fest, dass er mit mir noch lange nicht fertig ist, dass noch mehr „drin liegt". Und nein, wir können nicht die ganze Welt verändern. In diesem Land liegt so vieles im Argen. Die Korruption ist riesig, auch der Einfluss von Animismus und Islam. Es ist oft frustrierend, wie wenig Erfolg man sehen kann. Und trotzdem erleben wir hier so viel Freude und Befriedigung - mehr und oft schneller als wir es in der Schweiz erlebten: Wir können einzelnen Menschen zu einem würdigen Leben verhelfen, wir können dieser Tropfen auf dem Stein sein, aber: Er verdampft nicht, er zieht Kreise.

,,Denn die Vollkommenheit besteht nicht in schönen Gefühlen, sondern darin, mehr zu lieben und in Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit zu handeln."

Dieser Satz von Teresa von Avila fasst im Eigentlichen zusammen, was ich in den letzten vier Jahren erlebt habe. Ich möchte diese Aufbruchs-Erfahrung nicht missen.

Beitrag drucken