Schweiz

Umsiedelung Vögelis

20.9.2022
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7
Min.

Umsiedelung Vögelis

Die grosse «Transition»

Als ich diesen Bericht zu schreiben begann, sinnierte ich nach einem passenden Titel. «Heimreise»? «Rückreise»? «Einreise» resp. «Ausreise»? Wir befinden uns als Familie in einer sogenannten Transition. Wir haben unser Einsatzland Guinea für längere Zeit verlassen und haben uns wieder in der Schweiz niedergelassen. Die letzten Monate waren geprägt von unterschiedlichen Dingen: Arbeiten wie gewohnt ausführen, aber auch Verantwortung übergeben und Nachfolger/innen einarbeiten.

Änderung des Einsatzortes?

Daneben sich Gedanken machen über die definitive «Rückkehr» wobei mir (Michelle) dieses Wort nicht so gefällt. Wir reisen in unser Heimatland, doch wir haben uns verändert und auch unser Umfeld hat sich verändert. Wir wohnen an einem neuen Ort – wohin also «zurück»? Mir persönlich gefällt «vorwärts» wesentlich besser. Oder wie es unsere guineischen Freunde formulierten: «wir ändern unseren Einsatzort». Denn wenn wir unseren Standort ändern, ändert sich doch nichts am Auftrag, den Gott uns gegeben hat. Wir stehen weiter in seinem Dienst und wollen herausfinden, welches unsere neuen Aufgaben sind. Wir arbeiten zwar wieder, um Einkommen zu generieren und doch sind wir der Auffassung, dass wir gesendete sind und unser Auftrag nach wie vor, auch in der Heimat, gilt.

Fotos für die Zukunft gegen das Heimweh

Also mussten wir uns für die Umsiedlung überlegen, wie wir unseren guineischen Haushalt auflösen – was kann man wem verschenken (Einheimischen oder anderen Expats?) und was entsorgt man lieber gleich? Auch die Vorbereitung unserer Tochter auf diesen Wechsel haben wir uns gut überlegt: Damit wir sie in diesem Prozess begleiten können; denn für sie ist sozusagen alles neu, da sie bei unserer Ausreise nach Guinea ca. 15 Monate alt war. Der Abschiedsprozess begann für Michelle einige Monate vor der Abreise. So plante sie Abschiedsfeste und überlegte sich genau, was sie noch erledigen wollte. So kam es, dass sie ihren Geburtstag wie Guineer/innen (wenn genügend Mittel vorhanden sind) feierte. Es kamen echt viele Freundinnen und Bekannte, worüber sie sich sehr freute. Für Céline gab es ein Kinderfest, mit Spielen und Lieder singen, Kuchen und Jus. So konnten auch nochmals Fotos zur Erinnerung gemacht werden. Apropos Fotos: Michelle machte im letzten Jahr bestimmt so viele Fotos wie im ersten Jahr, um sich auch in Zukunft erinnern zu können, wie es aussah.

Der grosse Moment

Dann kam der Moment der Abreise. Im Nachhinein fragt sich Michelle, ob sie sich gebührend verabschiedet hat. Da Guineer/innen im Allgemeinen eher eine Willkommenskultur pflegen, beruhigt sie sich damit, dass sie ein grosses Fest gemacht hat und alle möglichen Menschen eingeladen hat und dass sie von einigen Freundinnen die Telefonnummer gespeichert hat, die sie bisher noch nicht hatte.

Die Reise

Wir fuhren morgens um ca. 8:00 Uhr los, um genügend Zeit zu haben, alles einzupacken und uns vom Wächter und unserer Teamkollegin zu verabschieden. Wir verbrachten dafür eine Nacht an einem See, an einem wunderschönen Ort. Am zweiten Tag fuhren wir weiter in die Hauptstadt und genossen «die Zwischenzeit». Michelle erledigte die noch ausstehenden Protokolle, wir machten unser Gepäck fertig und Michelle liess sich noch einmal schöne Zöpfe flechten – das gehört sich so, dass man vor einer Reise eine schöne Frisur hat. Der Flug ging reibungslos und wir erwischten auch den Anschlussflug, so dass wir pünktlich, wie geplant, in Zürich landeten und auch unser Gepäck in Empfang nehmen konnten.

Welcome back
Schöne Frisuren für die lange Reise

Ein neuer Alltag kehrt ein

Nun sind wir schon seit gut drei Monaten in der Schweiz und es fühlt sich etwas sonderbar an. Bisher sind wir nach dieser Zeit wieder nach Guinea ausgereist. Wir haben zwar unser Heim eingerichtet, doch so richtig begriffen, dass wir nicht mehr ausreisen werden, haben wir wohl erst, als wir begonnen haben, einer bezahlten Arbeit nachzugehen. So sind wir nun daran, einen neuen Familienalltag zu leben und einzurichten. An einiges haben wir uns schnell gewöhnt, anderes braucht etwas mehr Zeit. Michelle fehlt definitiv, dass sie mit niemandem im Umfeld mehr Pular sprechen kann, die einheimische Sprache, die wir in Guinea gelernt haben. Klar kann sie ihre Freundinnen anrufen – aber täglich geht das nicht. Auch das Französisch kommt ihrer Meinung nach viel zu kurz.

Der Prozess des Ankommens

Wenn man uns fragt: «Habt Ihr Euch schon gut eingelebt?!» dann lautet unsere Antwort in etwa: «Wir sind auf gutem Weg.» Es ist ein Prozess, der unterschiedlich lange dauert und unterschiedlich begangen wird. Uns half das Bild aus dem Family-Debriefing mit den Trauer-Inseln. Der Abschiedsprozess gleicht einem Trauerprozess und dieser verläuft nicht nach einer Kurve, sondern kann ein Hüpfen zwischen den verschiedenen Stadien sein. So sind wir gemeinsam und doch jedes für sich in diesem Prozess, zwischen Fernweh nach Guinea und der Freude, hier zu sein, bei Freunden und Familien, in der christlichen Gemeinschaft, die unsere Heimat geblieben ist und in der wir uns wohl fühlen. So tasten wir uns vorwärts und hoffen, dass wir auf Verständnis stossen, wenn wir einmal «unschweizerisch» reagieren oder etwas in Erinnerungen schwelgen. Einige Menschen Fragen auch: «Wie seid ihr gelandet?» oder «wie geht es euch im Einleben?». Diese Fragen helfen uns, ehrlich zu antworten, wie es uns geht. Sie setzen nicht voraus, dass wir schon ganz angekommen sind. Im Family-Debriefing hörten wir, dass dieser Prozess des Ankommens und Einlebens gut 2-3 Jahre dauern kann und je nach Einsatzdauer noch länger dauern kann. Das hilft uns insofern, dass wir Geduld mit uns haben und uns die Zeit lassen, die wir brauchen.

Guinea vs. Schweiz

Natürlich geniessen wir die Schweiz mit ihren Vorzügen sehr. Klar gibt es Dinge, die wir nicht vermisst haben, aber das Leben ist um einiges einfacher hier. Unsere Tochter sagt manchmal: «in Guinea war alles besser!», wenn sie mal traurig ist oder ihr hier etwas schwerfällt. Dann müssen wir uns in Erinnerung rufen, dass auch nicht alles «einfach» war und lernen, das «jetzt» zu geniessen und im «jetzt» zu leben.

Neuer Anfang

Seit Anfang September arbeite ich (Michelle) nun in der Homebase als Assistentin der Leitung, Jürg Pfister, und freue mich, meine Gaben und Erfahrungen einbringen zu können. Es braucht auch hier Zeit, die Tätigkeiten, Abläufe und Programme kennen zu lernen, damit es irgendwann wie automatisch läuft. Im Moment brauche ich vor allem Geduld mit mir selbst, bis die Routine kommt. Ich freute mich sehr über den herzlichen Empfang in der Homebase und hoffe auf eine super Zusammenarbeit. Es ist eine abwechslungsreiche Tätigkeit, was Spannung verspricht. So verbringe ich meine Zeit des Ankommens doch noch mit Guinea verbunden, einfach in einer anderen und neuen Rolle.

Michelle, Céline & Tobias zurück in der Schweiz
Michelle V.
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