Am 10. Mai 1996 kam ich im Tschad an und ziemlich genau 26 Jahre später, am 9. Mai dieses Jahres, habe ich das Land und die Menschen, die mir ans Herz gewachsen sind, wieder verlassen. Wenn ich nun ein neues Kapitel aufschlage, um mich neuen Herausforderungen in Europa zu stellen, ist dies die Gelegenheit, mich an die Güte und Treue Gottes während der gesamten Zeit im Tschad zu erinnern.
Die ersten acht Jahre verbrachte ich im Waisenhaus von Abéché im Osten des Landes, wo ich das Privileg hatte, die schöne Sprache Arabisch zu lernen, eine völlig neue Kultur und unbekannte Gewohnheiten zu entdecken und vor allem Menschen ins Herz zu schliessen, mit denen ich teilweise heute noch im Kontakt stehe. Durch die Betreuung von Waisenkindern, Besuche bei Familien im Busch und durch Schulungen für traditionelle Geburtshelferinnen hatte ich die Gelegenheit, der Bevölkerung mit meinen medizinischen Kenntnissen zu dienen und auch die Hoffnung, die wir in Jesus haben, weiterzugeben. Ich weiss nicht, wie oft ich die Geschichte vom verlorenen Sohn im Mondschein an einem abgelegenen Ort der halben Dorfbevölkerung erzählte, die sich versammelt hatte und der Guten Nachricht ganz aufmerksam lauschte.
2004 kam ich ursprünglich nur für einige Monate als Vertretung nach Am Senena und blieb dort schliesslich 18 Jahre im Einsatz mit sehr vielfältigen Tätigkeiten: medizinische Grundversorgung in der Krankenstation, Besuche im Dorf und in der Umgebung, Begleitung von Jugendlichen auf ihrem persönlichen Weg und auf ihrem Weg mit Gott, verschiedene Unterrichtsstunden, Weitergabe der Vision, die Gute Nachricht zu teilen, Begleitung von Menschen, die wegen ihres Glaubens litten, Hilfe beim Aufbau und Betrieb einer Schule, Empfang von Durchreisenden usw., und das mit einem Team, das sich im Laufe der Zeit immer wieder verändert hat.
Der Einsatz Tschad hat mich tief geprägt und ich bin Gott dankbar für alles, was ich dort erleben und lernen durfte. An Herausforderungen hat es nicht gefehlt, aber ich konnte die Treue Gottes schmecken, der mich nie im Stich gelassen hat. Ich habe entdeckt, wie wichtig das Gebet ist, allein oder in der Gruppe, mit dem Reichtum und der Vielfalt, die der eine oder andere eingebracht hat. Ich habe gesehen, was es bedeutet, in Zeiten der Krankheit von Brüdern und Schwestern umgeben zu sein. Ich habe die Kraft Gottes erlebt, Menschen zu retten und zu befreien, und habe Jesu Sieg über die Finsternis gesehen, die sich manchmal sehr spürbar zeigte. Ich habe auch erlebt, wie Gott mir in schwierigen Situationen, wenn ich an meine Grenzen stiess, Kraft und Mut gegeben hat. Ich lernte, für einen Computer oder einen Generator zu beten, der nicht mehr funktionierte. Welche Freude, wenn das Gerät nach dem Gebet ohne menschliches Zutun – was angesichts meiner begrenzten technischen Fähigkeiten glaubwürdig ist – wieder funktionierte! Aber ich war auch entmutigt, wenn das Auto mitten auf der Straße stehenblieb oder ich die fünfte Reifenpanne in einer Woche hatte... In allem habe ich die Güte Gottes entdeckt: Er ist immer gut, durch und durch gut! Paradoxerweise verstand ich das nicht in erster Linie, wenn alles wunderbar lief, sondern inmitten von Schwierigkeiten, Trauer und Herausforderungen. Und ich weiss, dass Gott mich beschützt hat, viel mehr, als mir bewusst ist ...
Ich danke Gott für die Menschen, die er mir zur Seite gestellt hat, für Mitarbeitende aus ganz verschiedenen Ländern. Wir haben vieles miteinander geteilt, gemeinsam gebetet und einander geholfen. (Vor der Abreise beispielsweise haben sie mir geholfen, mein Haus zu räumen und mein Gepäck fertig zu packen – danke!). Wir haben intensive Momente zusammen erlebt: den Krieg, eine Evakuierung, Trauerfälle, wir haben zusammen gelacht und geweint und starke Bande wurden geknüpft. Ich bin dankbar für meine tschadischen Freunde, von denen ich gelernt habe, wie man empfängt und gastfreundlich ist. Sie zeigten mir eine andere Art, die Zeit und die Menschen zu betrachten. Und ich staunte immer wieder über ihre Hingabe an Gott, ihren Eifer im Gebetsleben sowie über ihre Fähigkeit, sich unter allen Umständen zu freuen und dankbar zu sein.
Was mich besonders freute und ermutigte, war, dass beim letzten Gottesdienst vor meiner Abreise in der kleinen Kirche in Am Senena junge Leute den Lobpreis leiteten, die ich als Kinder in der Sonntagsschule unterrichtet hatte. Sie geben nun das Gelernte weiter. In der Krankenstation hingegen mussten wir die Aktivitäten aussetzen, bis jemand gefunden wird, der die Verantwortung für die Arbeit übernehmen kann.
Im Blick auf meine persönliche Zukunft sind die Dinge im Moment noch etwas unklar. Ich mache eine Bilanz meiner Kompetenzen, um zu sehen, in welche Richtung ich eine Arbeit suchen soll. Aber ich weiss, dass der Gott, der mich im Tschad geführt hat, derselbe ist in Europa und dass er auch hier gute Pläne für mich hat, denn in ihm gibt es Zukunft und Hoffnung.
Ich danke euch allen für eure Gebete und eure Unterstützung in all den vergangenen Jahren. Ohne euch wäre der Einsatz nicht möglich gewesen. Bitte unterstützt doch auch weiterhin das Team vor Ort, das die Arbeit fortsetzt.
Agathe B.
Ein absolutes Muss
Eines Morgens war ich auf dem Weg zur Arbeit. Vor dem Spital standen viele Autos. Oh je, dachte ich, da ist wohl wieder etwas passiert in der Nacht.
Tatsächlich lag ein junger Mann verletzt im Spital. Er war in eine Messerstecherei verwickelt worden – leider nichts Ungewöhnliches hier. Der Stich hatte eine der Lungen verletzt und es ging dem Verletzten gar nicht gut. Da im Spital kein Arzt anwesend war, legte einer der Krankenpfleger eine Drainage, um Blut und Luft abzusaugen, damit die zusammengefallene Lunge wieder funktionieren konnte. Bald ging es dem Verletzten besser, aber an Ausruhen war nicht zu denken: Den ganzen Vormittag über war ein Kommen und Gehen. Natürlich kam die Polizei, vor allem jedoch Personen, die den jungen Mann grüssen wollten. Dieses «Grüssengehen» ist ein absolutes Muss hier (es stillt auch die Neugierde und bereichert den Gesprächsstoff!). Die Nachricht, dass jemand hospitalisiert wurde, geht jeweils wie ein Lauffeuer durchs Städtchen. So auch bei den Frauen, die geboren haben. Es ist wie ein Wettlauf, wer zuerst zum Grüssen kommt. Den jungen Müttern wird jeweils Tee, Biskuits, eine feine Bouillie (süsser Brei, mit Weizen oder Mais und Erdnussbutter gekocht) oder sogar eine ganze Mahlzeit mitgebracht. Oft ist es so viel, dass ich auch eine Portion davon bekomme!
Helen M.
Mehr Wissen, bessere Förderung
Die lokale Entwicklungsorganisation AJDL (Association Jeunesse Développement Local) wurde vor einigen Jahren durch Sérach (die Frau von Florent) und einem kleinen Team ins Leben gerufen. Im Rahmen unserer Bildungsarbeit im ProRADJA’ unterstützen wir dieses Projekt seit 2020. Sérach berichtet im Folgenden selber darüber:
Wir haben in diesem Schuljahr damit begonnen, das Handbuch «Compétence de vie» (Lebenskompetenzen), das uns SAM global zur Verfügung gestellt hat, zu nutzen. Es stösst bei den Jugendlichen auf grossen Anklang, geht es dabei doch um Themen, die sehr aktuell für sie sind: ethische Fragen, Religion, Beziehungen, Sexualität usw. Im Zeitraum von März bis Juni 2022 konnten wir den Unterricht an zwei Schulen mit 525 Schülern (234 Mädchen und 291 Knaben) durchführen. Persönlichen Berichten zufolge war das für viele hilfreich und hat sie motiviert, gute Entscheidungen zu treffen.
Das Jugendzentrum bietet Beratung und Orientierung, schulische Begleitung und eine Bibliothek an. Die durchschnittliche Besucherzahl liegt bei etwa 15 Schülerinnen und Schüler. Im Februar haben wir in einem Dorf einen Kindergarten mit 46 Kindern gestartet, dies im Rahmen des Projektziels, in abgelegenen Dörfern frühkindliche Förderung zu ermöglichen. Schulen sind in ländlichen Gebieten oft 5 bis 10 km entfernt – zu weit für die Kleinen. Das Dorf hat bereits den Wunsch geäussert, dass wir im nächsten Schuljahr (Start Oktober 2022) mit einer ersten Klasse beginnen sollten. Die entsprechenden Schritte werden derzeit eingeleitet.
Sérach N. leitet das Projekt AJDL zur Förderung von Kindern und Jugendlichen im Süden des Landes
Die Mühe hat sich auf jeden Fall gelohnt
Einen Informatikkurs auf Französisch erteilen? War das eine gute Idee? Zwar kennen wir uns in der Welt der Computer recht gut aus und Französisch begleitet uns auch schon lange Zeit. Aber als wir uns mit dieser Frage beschäftigten, realisierten wir, dass fast alle Begriffe aus der Welt der Informatik konsequent französisch gehalten sind, viel stärker als im Deutschen, wo viele Ausdrücke einfach aus dem Englischen übernommen wurden. Da gab es also doch schon sprachliche Hürden, oder wisst ihr beispielsweise, was «Betriebssystem», «Touch-Pad» oder «Zwischenspeicher» auf Französisch heisst?
Informatik ist Bestandteil des Unterrichtsprogramms am Seminar CEFE (Centre évangélique de formation des enseignants) in N’Djamena. Mangels Geräten und Lehrpersonen kann der Unterricht jedoch nur teilweise stattfinden und der aktuelle Jahrgang hatte noch gar keinen Informatikunterricht genossen. Da wir aus der Schweiz eine Anzahl Laptops mitbrachten, die wir von einer Schule geschenkt bekommen hatten, beschlossen wir, mit einer Intensivwoche diese Lücke zu schliessen.
Die Studierenden sollten praktische Erfahrungen mit einem Computer machen können, die wichtigsten Grundlagen der Computertechnologie und Begriffe im Umgang mit Computern kennen lernen. Weiter sollten sie eine Vorstellung bekommen, was man mit dem Computer realisieren kann und ein Textverarbeitungsprogramm in den Grundzügen kennen lernen. Und nicht zuletzt sollte dieser erste Kontakt ein gutes Erlebnis für die Studierenden werden. So bereiteten wir den Kurs mit Enthusiasmus vor und setzten ihn in die Tat um. Für die meisten Studierenden war es der erste Kontakt mit der Computerwelt überhaupt. In einem ersten Block erklärten wir, woraus die Hardware besteht und wie sie funktioniert. In einem weiteren Block gingen wir auf das Betriebssystem ein: Wie starte ich die Programme? Wie speichere ich ein Dokument ab? Aus welchen Teilen besteht der Desktop? usw. Eine besondere Herausforderung für die Studierenden war die Fingerfertigkeit auf der Tastatur und dem Touchpad. In einem dritten Teil gingen wir etwas detaillierter auf ein Textverarbeitungsprogramm ein.
Das tschadische Umfeld bot uns einige besondere Schwierigkeiten: Die Geräte und Materialien konnten in der Schule nicht an einem sicheren Ort untergebracht werden. Wir mussten also die Laptops zu Hause aufbewahren und jedes Mal mitbringen. In der Stadt ist die Stromversorgung oft sehr unzuverlässig, deshalb mussten die Laptops vor dem Kurs alle geladen werden. Da es im Unterrichtszimmer keine Projektionswand gibt, hängten wir ein Leintuch an die Wandtafel. Für den Internetzugang brauchten wir ein Modem mit direktem Zugriff auf das Handynetz, denn in den Schulgebäuden gibt es weder Internetzugang noch ein Netzwerk. Der Aufwand war also gross, aber die Studierenden haben motiviert und begeistert mitgemacht, was für uns eine schöne Entschädigung war. Ausserdem war es für uns eine gute Möglichkeit, erste Erfahrungen im Unterricht auf Französisch im Tschad zu sammeln.
Silvia & Hansueli F.