Bild: Langes Anstehen an den Tankstellen (Bildquelle: faz.net)
Vorab möchten wir festhalten, dass jetzt, wo dieser Text erscheint, die Situation in Sri Lanka schon eine wesentlich andere sein könnte als zu dem Zeitpunkt, an dem wir ihn geschrieben haben (23. Mai 22). Dann wäre es aber möglicherweise umso interessanter zu verstehen, wie es zu diesen Veränderungen gekommen ist.
Grosse Krise
Anfangs April 2022 musste die Regierung Sri Lankas ihren Geldgebern und Geschäftspartnern mitteilen, dass sie kein Geld mehr hatte, um die laufenden Rechnungen und Zinsen zu bezahlen (Staatsbankrott). Seit der Unabhängigkeit Sri Lankas als ehemalige britische Kolonie und nicht einmal während des 26-jährigen Bürgerkriegs ging es Sri Lanka so schlecht wie jetzt. Die Ursache für die aktuelle Situation liegt laut Experten vorwiegend in der Misswirtschaft der letzten 20 Jahre. Zu viele Darlehen, vielfach gekürzte Steuern (u.a. für chinesische Investoren), die Corona-Pandemie und die kurzfristig gestiegenen Ölpreise haben die absehbare negative Entwicklung noch wesentlich beschleunigt.
Versäumnisse nach dem Krieg
2009 ging der Bürgerkrieg in Sri Lanka nach 26 Jahren zu Ende. Der damalige Präsident, Mahinda Rajapaksa, investierte riesige Summen in den Wiederaufbau des Landes im Bereich der Infrastruktur (Strassen, Häfen, neuer Flughafen und Gebäude). Dafür nahm er verschiedenste Darlehen auf, versäumte es jedoch, gleichzeitig auch in den Handel und eine Förderung der Exportprodukte zu investieren. Zudem konnte die neue Infrastruktur nicht so genutzt werden, dass dadurch ein Gewinn entstanden wäre. Deshalb nahm die Wirtschaftsverschuldung von 7% (2006) bis auf 55% (2019) zu.
2019 übernahm der neugewählte Gotabaya Rajapaksa die Präsidentschaft zusammen mit seinem älteren Bruder (Mahinda Rajapaksa, der ehemalige Präsident) als Premierminister. Sie lösten ihr Wahlversprechen ein und senkten verschiedene Steuern, wodurch die Regierung schon vor Beginn der Corona-Pandemie nicht mehr genügend Einkommen hatte. Der ausbleibende Tourismus während der Corona-Pandemie verschlechterte den Staatshaushalt noch weiter. So sank der Anteil des Tourismus am BIP (Brutto-Inland-Produkt) von 5.6% im Jahr 2018 auf 0.8% im Jahr 2020. Im Jahr 2021 wurden chemische Düngemittel über Nacht und ohne öffentliche Information verboten. Dadurch begannen die ohnehin knappen Nahrungsmittel noch teurer zu werden.
Die Bevölkerung ist verzweifelt
Die ursprünglich nicht politische Protestbewegung begann anfangs März 2022 mit ersten kleinen Protestmärschen. Ziel war es, die Bevölkerung auf die tatsächliche wirtschaftliche Lage des Landes und das gewaltige Ausmass der Korruption aufmerksam zu machen. Zudem wurde der Rücktritt des Präsidenten, seiner ernannten Minister und des ganzen Parlaments gefordert. Wegen der mehr und mehr fehlenden Nahrungsmittel, Medikamente und Treibstoffe, den vermehrten Stromunterbrüchen, Überschwemmungen und der kontinuierlich steigenden Inflation gingen anfangs April Millionen auf die Strasse. Der Premierminister trat am 9. Mai 2022 aufgrund diverser Vorfälle (angeordnete Gewalt gegen Protestierende und zerstörte Häuser von Politikern) zurück. Aber auch der nachfolgende Premierminister, Ranil Wickramasinghe, tut sich schwer, das verlorene Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen.
Was hilft wirklich?
Im April nahm der Finanzminister im Blick auf eventuelle Unterstützungspakete Kontakt zum Internationalen Währungsfonds auf. Voraussetzung für Hilfe ist jedoch eine stabile politische Situation und die Sicherheit, dass die Unterstützungsgelder der einfachen Bevölkerung zu Gute kommen. In der Folge erhöhte die Regierung zum ersten Mal die Steuern, wodurch sich gewisse Produkte und Dienstleistungen weiter verteuerten. Der aktuelle Schuldenbetrag Sri Lankas beläuft sich auf knapp 50 Milliarden Euro, wobei Sri Lanka zurzeit noch gut 20 Millionen Euro in ausländischer Währung für allfällige Rückzahlungen zur Verfügung hätte.
Probleme gemeinsam angehen
Wie es weitergeht, werden die nächsten Wochen zeigen. Die Wut, der Ärger und die Enttäuschung über Politiker jeglicher Couleur ist gross. Doch die junge Generation hat durch die vergangenen Erfahrungen den Mut gefasst, offen und unerschrocken über die Probleme und mögliche Lösungen zu sprechen. Weiter sind sich die religiösen Verantwortungsträger einig, dass sie sich nicht mehr durch politische Machenschaften gegeneinander aufhetzen lassen wollen und treten mit einer noch nie dagewesenen Einigkeit auf.
Prarthana & Jonas Gnehm
Eine unerwartete Erfahrung
Sri Lanka geht durch eine schwere wirtschaftliche Krise. Deshalb machen die Menschen eine harte Zeit durch und schaffen es kaum, sich und ihre Kinder ernähren zu können, vor allem in abgelegenen Gebieten. Auf Einladung von Pastor J., der den Menschen in Agra Oya Estate im Bezirk Hatton dient, reisten wir am 22. April zu viert als Team dorthin. Am Morgen darauf, es war Samstag, versammelten sich 80 Kinder aus verschiedenen Familien der Gegend in einer Schulhalle und wir führten ein gemeinsames Programm für sie durch. Gegen 11 Uhr, wir waren mit den Kindern am Basteln, drangen ein paar Männer in die Halle ein, die einer extremistischen Hindu-Gruppe der Gegend angehören. Sie störten unser Programm und verlangten den sofortigen Abbruch. Wir hatten keine andere Wahl, als dieser Aufforderung nachzukommen, was unglaublich traurig war. Wenigstens konnten wir die geplante Mahlzeit noch an die hungrigen Kinder verteilen. Sie hatten teilweise schon lange nicht mehr genug essen können, vor allem kein Fleisch. Es schmeckte ihnen sehr gut. Auch die Eltern der Kinder, die dabei waren und alles beobachteten, waren sehr traurig über den Vorfall.
Am nächsten Tag, dem Sonntag, besuchten wir den Sonntagsgottesdienst in der Kirche. Wir konnten ein Sonntagsschulprogramm für 30 Kinder und ein Leiterschulungsprogramm für 25 Erwachsene durchführen. Alles verlief ohne jegliche Störung. An diesem Tag liessen sich vier Teenager taufen.
Der Vorfall vom Samstag war besonders für unsere Tochter, die mit dabei war, schockierend. Wir sind Gott sehr dankbar, dass er mit uns war und wir am 24. Mai gegen Abend wieder sicher zu Hause ankamen, trotz der Proteste, die derzeit im Land stattfinden.
Faith und Krishan Th., Lanka Hope Mission International
Auswirkungen der Krise aufs CCS
Die Lebensmittelpreise sind mittlerweile um etwa das Dreifache gestiegen. Ohne die Subvention von SAM global könnten wir die Kosten für das Essen im Moment sicher nicht decken, zumal wir den Lernenden und Mitarbeitenden nicht noch mehr Geld vom sonst schon zu wenig gewordenen Lohn abziehen möchten...
Auch die durch den Geschenkkatalog finanzierten Arbeitsschuhe zur Sicherheit auf den Baustellen und Lernmaterialien für den Unterricht sind eine enorme Unterstützung. Einige Studenten drücken ihre Dankbarkeit aus, dass sie etwas lernen dürfen. Andere haben manchmal eine etwas unmotiviertere Haltung der Selbstverständlichkeit. Aber durch die Corona-Pandemie und wegen der Streiks, die jetzt auch immer wieder Schulen und Ausbildungsstätten betreffen, sind doch einige dankbarer geworden, dass wir weiterhin zuverlässig und relativ stabil den Betrieb aufrechterhalten können.
Ich habe mit zwei Lernenden darüber gesprochen, wie ihr Leben am CCS im Vergleich mit dem Leben zu Hause aussieht, wie sie die aktuelle Situation erleben und was sie in den ersten vier Monaten am CCS am meisten geprägt hat:
Nichts mit ausschlafen
Ch. ist 20 Jahre alt. Er sagt: «Am CCS stehe ich vor sechs Uhr morgens auf, zu Hause erst um 8.30 Uhr. Daheim gibt es keine festen Essenszeiten. Wir essen, wenn wir Hunger haben oder das Essen irgendwann gekocht ist. Am CCS besuche ich zudem Unterricht. Von der aktuellen Krise spüre ich nicht so viel. Am CCS geht alles fast normal weiter, zu Hause eigentlich auch. Ich habe in den ersten Monaten am CCS grosse Fortschritte in Englisch und Mathe gemacht. Ausserdem musste ich zum ersten Mal in meinem Leben im Haushalt mithelfen und beispielsweise eine Toilette putzen.»
Die Gemeinschaft gefällt mir
Der 17-jährige Dh. meint: «Das CCS ist für mich wie ein Arbeitsplatz und ich muss früh aufstehen. Aber es gefällt mir, von guten Freunden umgeben zu sein und in Gemeinschaft zu leben und zu arbeiten, mehr als daheim, wo es nur die Familie ist. Mein Vater musste aufgrund der schwierigen Situation ins Ausland reisen, um dort zu arbeiten. Er ist Maurer und kann so mehr Geld verdienen. Meine Schwestern können momentan nicht zur Schule, da gestreikt wird und Ausgangssperre herrscht. In der ersten Zeit am CCS habe ich gelernt, gute Arbeit zu leisten und eine positive Haltung im gemeinsamen Leben an den Tag zu legen.»
Rahel R.
Abenteuer – nicht zu knapp
Wir haben die Möglichkeit für einen kurzen Aufenthalt in der Schweiz sehr genossen. Die Ausreise aus Sri Lanka war sehr intensiv, da wir den alljährlichen Gesundheitscheck für die Visaverlängerung vor dem Abflug in Colombo miteinplanten. Somit dauerte die Reise von Tür zu Tür über 30 Stunden, was an den Kräften zehrte. Bei Henri wurde bei der Blutkontrolle Filaria (eine Wurmerkrankung) diagnostiziert und wir vereinbarten einen weiteren Termin auf den Zeitpunkt der Rückkehr nach Sri Lanka.
Wie im Flug
In der Schweiz konnten wir wieder bei meinen Eltern wohnen, wo sich die Kinder bestens auskennen. Neben allerlei Besuchen von Familie und Freunden blieb auch noch ein Wochenende für uns als Ehepaar zu zweit. Die Hochzeit meines Bruders war auch sehr schön. Das Homeschooling gestaltete sich in der Schweiz schwieriger als erwartet, da die vielen Spielmöglichkeiten ablenkten. Natürlich verfolgten wir die Entwicklung der politischen und wirtschaftlichen Situation in unserer neuen Wahlheimat mit Spannung. Die Zeit verging wie im Flug und mit vielen Fragezeichen und nach schwierigen Abschieden befanden wir uns wieder auf der Rückreise. Wir hatten drei Nächte in Colombo gebucht, um Zeit für die Behandlung von Henri und die Verlängerung der Visa zu haben. Ersteres klappte noch am Ankunftstag, aber zweiteres war nicht möglich, da landesweit gestreikt wurde. Somit reisten wir weiter nach Trincomalee.
K(l)eine Spritztour
Zwei Wochen später und mit abgelaufenem Visum machte ich mich wieder auf den Weg nach Colombo, dieses Mal mit dem Motorrad. Es war ein langer und sehr erlebnisreicher Tag, den ich nicht so schnell vergessen werde: strömender Regen, falsche Visa gebühr und das Betteln um Benzin sind nur ein paar Stichwörter dazu. Aber es hat geklappt – Gott sei Dank!
Stefan und Daniela B.
Zweite Sri Lanka-Reise
Vom 19. Juni bis am 1. Juli werde ich in Sri Lanka sein und dabei zweimal quer über die Insel reisen, was bei der aktuellen Treibstoffknappheit ein Abenteuer sein wird. Erstmals werde ich auch in Norton Bridge besuchen, wo SAIT die ländlichen Pastoren und Gemeindemitarbeitende ausbildet. In Trincomalee sind individuelle Gespräche mit den Mitarbeitenden sowie ein Strategieworkshop geplant. Zudem hoffe ich, auch mit den Verantwortlichen des BTC sprechen zu können, in der Hoffnung, den Versöhnungsprozess etwas zu beschleunigen. Schliesslich werde ich nach Kandy reisen, um am LBC die Bauarbeiten zu besichtigen und mit den Verantwortlichen die Zusammenarbeit zu evaluieren. In Colombo werde ich Faith und Krishan treffen und kurz vor dem Abflug auch noch Ivor, den Direktor des theologischen Seminars, kennen lernen. Danke, wenn ihr diese Reise im Gebet mitträgt.
Andreas Zurbrügg, Länderverantwortlicher